Novellierung des Islamgesetzes

07.07.2021 | News, Presseaussendungen, Stellungnahmen

Allgemeines

Nur neun Tage nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt präsentierte die Bundesregierung im Rahmen einer Presskonferenz nach dem Ministerrat am 11. November 2020 ihre Pläne für ein sogenanntes „Anti-Terror-Paket“, das neben der Einführung eines neuen Straftatbestands zur „effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)“ auch eine Verschärfung des Islamgesetzes von 2015 vorsah. Die IGGÖ wies diese Pläne vehement zurück und forderte die Trennung von sicherheitspolitischen und religionsrechtlichen Regelungen. 

Am 30. November 2020 fand ein Termin mit Präsident Vural und Vertreter*innen der IGGÖ mit leitenden Beamt*nnen des Kultusamts statt. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde die IGGÖ lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, welche vier Bereiche des IslamG 2015 novelliert werden sollen, jedoch ohne inhaltliche Konkretisierung. Präsident Vural bestand daher auf die Zusendung des Gesetzestextentwurfs, um diesen innerhalb der IGGÖ-Gremien und mit ihren Jurist*innen besprechen und eine Stellungnahme formulieren zu können. Trotz gegenteiliger Zusicherung des Ministeriums wurde der IGGÖ der Gesetzestext jedoch erst am Abend des 16. Dezembers 2020, also bereits Stunden nach der öffentlichen Präsentation durch die zuständige Bundesministerin Susanne Raab übermittelt. Entgegen den Behauptungen der Bundesministerin ging das Gesetz daher ohne tatsächliche inhaltliche Einbindung der IGGÖ in die sechswöchige Begutachtungsphase. 

Am 31. Jänner 2021 brachte die IGGÖ ihre Stellungnahme zum Gesetzesentwurf im Parlament ein. Darin kritisierte sie den überschießenden Eingriff des Gesetzesentwurfs in die inneren Angelegenheiten der IGGÖ, obwohl das IslamG lediglich die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften regeln sollte. Die Änderungen standen im Konflikt mit geschützten Grund- und Menschenrechten und anerkannten Rechtsgrundsätzen und warf daher ehebliche verfassungsrechtliche Bedenken auf. Die IGGÖ regte eine Verwerfung der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen, eine zeitliche und kontextuale Abkoppelung des Novellierungsprozesses vom sogenannten „Anti-Terror-Paket“ sowie die strikte Trennung von sicherheitspolizeilichen und religionsrechtlichen Regelungen an und forderte die Bundesregierung dazu auf, einen gemeinsamen und konsensorientierten Novellierungsprozess. Sie schlug zu diesem Zweck die Organisation einer gemeinsamen Fachtagung mit Expert*innen aus unterschiedlichen rechts-, politik- und sozialwissenschaftlichen Bereichen vor. Die IGGÖ hielt darüber hinaus in aller Deutlichkeit fest, dass die Novellierung des Islamgesetzes in dieser Form ausdrücklich gegen ihren durchgeführt wurde und sie darin einen Bruch mit dem traditionellen Kooperationsmodell zwischen Religionen und Staat verortete. 

Presseaussendung der IGGÖ zur 115. Sitzung des Nationalrates

IGGÖ ad Islamgesetz: Für das Recht auf Gleichbehandlung! | IGGÖ

Der Rassismus gegenüber MuslimInnen ist real und hat sich in den Monaten seit dem Terroranschlag in Wien noch weiter verschärft.

Heute wird in der Plenarsitzung des Nationalrates über die umstrittene Novellierung des Islamgesetzes von 2015 abgestimmt, die im Kontext des Anti-Terror-Pakets präsentiert wurde. In den Bestimmungen sollen Mechanismen verankert werden, die sich in den Gesetzen anderer staatlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften nicht finden, wie in zahlreichen Stellungnahmen während der parlamentarischen Begutachtungsphase bemängelt wurde. Diesen wurden von der Bundesregierung jedoch keinerlei Beachtung geschenkt.

Die Diskriminierung von MuslimInnen wird damit abermals auf eine institutionalisierte Ebene gehoben, kritisiert Ümit Vural, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ): „Das gewählte Framing und die mangelhafte Einbindung der betroffenen Religionsgesellschaft beweist, dass die Bundesregierung nicht an konsensorientierten Gesprächen und an der Formulierung wirksamer Maßnahmen in der Extremismusprävention interessiert ist, sondern lediglich von den eigenen Versäumnissen ablenken und auf dem Rücken österreichischer Musliminnen und Muslime politisches Kleingeld wechseln möchte. Zumindest die Grünen als deklarierte Menschenrechtspartei und die Opposition sollten sich an dieser Form der Politik nicht beteiligen“, so Vural.

Zahlreiche PolitikerInnen sprechen sich regelmäßig gegen die Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen aus. Vural erwarte sich, dass sich diese Haltung auch im heutigen Abstimmungsverhalten widerspiegelt: „In den vergangenen Wochen habe ich mich um einen intensiven Austausch mit Abgeordneten unterschiedlicher Couleur bemüht, um den Standpunkt der IGGÖ zu erläutern. Der Nationalrat kann einem Gesetz, das eine einzige Religionsgemeinschaft grundsätzlich ungleich behandelt und einen nie dagewesenen Bruch mit dem bewährten Kooperationsmodell zwischen Staat und Religionen darstellt, nicht zustimmen!“

Sollte das Gesetz in dieser Form verabschiedet werden, könne er rechtliche Schritte nicht ausschließen: „Ich werde auch weiterhin konsequent für die Gleichbehandlung ausnahmslos aller Bürgerinnen und Bürger Österreichs eintreten und dafür, wenn notwendig, auch den Rechtsweg beschreiten“, kündigt Vural abschließend an.

Zur Tagesordnung der 115. Sitzung des Nationalrates

Statement des Präsidenten zum Beschluss des Nationalrates bezüglich der Novellierung des Islamgesetzes, 7. Juli 2021

Kurzvideo: Für das Recht auf Gleichbehandlung!

Die umstrittene Novellierung des Islamgesetzes von 2015 ist am Mittwoch, den 7. Juli 2021 Thema in der 115. Plenarsitzung des österreichischen Nationalrates. In diesem kurzen Video wollen wir Ihnen einen Überblick über die Geschehnisse der vergangenen Monate geben und unsere Forderungen noch einmal erläutern.

Wir halten fest: Die Novellierung erfolgt ausdrücklich gegen den Willen der IGGÖ.

Allgemeine Information

Wenige Wochen nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt befindet sich Österreich noch immer in einem Zustand der Fassungslosigkeit und des Schmerzes. In den Tagen nach der schrecklichen Tat ist die gesamte Bevölkerung in Trauer zusammengerückt, die Spitzen der Kirchen und Religionsgemeinschaften haben ihre Verbundenheit demonstriert und auch die Bundesregierung hat mit ihren besonnenen Worten ihren Beitrag dazu geleistet, die Gesellschaft vor einer Spaltung zu bewahren.

Anstatt sich jedoch ausreichend Zeit einzuräumen, die Geschehnisse umfassend aufzuarbeiten und schon lang geforderte sinnvolle Strategien vor allem in den Bereichen der Bildungspolitik sowie der Extremismusprävention und Deradikalisierung zu formulieren, präsentierte die österreichische Bundesregierung am 16. Dezember 2020 ein sogenanntes Anti-Terror-Paket, das auch Verschärfungen im Islamgesetz von 2015 vorsieht.

Eine Novellierung eines Religionsgesetzes im Kontext von Terrorbekämpfung wirkt dabei verstörend. Der brutale Anschlag war ein Angriff auf unsere Gesellschaft als Ganzes, gegen unser Land, gegen unsere gemeinsamen Werte, unsere Freiheit, unsere Demokratie und unsere liberale Rechtsordnung. Der Täter hat dabei wahllos auf Menschen geschossen, ohne zu differenzieren. Die Ideologie, die ihn dabei geleitet hat, ist eine gewaltverherrlichende, eine entmenschlichende, die dem moralischen und religiösen Verständnis des Islam diametral entgegensteht. Eine ganze Religionsgemeinschaft und ihre AnhängerInnen in Sippenhaft für die Straftat eines Einzelnen zu nehmen, konterkariert die Anstrengungen jener Menschen, die sich tagtäglich um eine friedliches und solidarisches Miteinander in Österreich einsetzen.

Die Bemühungen radikale Tendenzen einzudämmen müssen als eine gesamtgesellschaftliche Bemühung verstärkt werden. Die IGGÖ steht mit all ihren Ressourcen und ihrer Expertise zur Verfügung und hält als Teil der österreichischen Gesellschaft ihre Hand ausgestreckt für all diejenigen, die mit ihr Seite an Seite im gemeinsamen Kampf zum Schutz unserer Freiheit und Demokratie stehen möchten.

IGGÖ fordert Abkoppelung des IslamG vom Anti-Terror-Paket

Obgleich die Relevanz einer Einbindung der IGGÖ in gesellschaftspolitische Fragen und im Speziellen in die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus in den vergangenen Monaten von Seiten der Bundesregierung in ihren öffentlichen Stellungnahmen immer wieder betont wurde, wurde der IGGÖ in der aktuellen Frage der Novellierung des Islamgesetzes von 2015 weder die Möglichkeit ergebnisoffener Gespräche, noch der gemeinsamen Suche nach inhaltlichen Lösungen für bestehende Herausforderungen eingeräumt. Trotz gegenteiliger Zusicherungen des zuständigen Ministeriums, war die IGGÖ in die Verhandlungen nicht eingebunden, sondern wurde lediglich vor vollendete Tatsachen gestellt und das obwohl die angekündigten Verschärfungen des Islamgesetzes die Autonomie einer Religionsgesellschaft tangieren und auch verfassungsrechtlich heikel sind. Eine tatsächliche Einbindung der IGGÖ wäre daher unabdingbar gewesen. Nichtsdestotrotz wurde der Gesetzesentwurf dennoch einseitig und unverzüglich nach der Präsentation der zuständigen Bundesministerin am 22. Dezember 2020 in die Begutachtungsphase geschickt.

Die IGGÖ selbst konstatiert einen dringenden Reformbedarf des Islamgesetzes, vor allem was die Gleichstellung zu anderen Religionsgesetzen, aber auch die Ermöglichung des Anstoßes wichtiger innermuslimischer Modernisierungsprozesse betrifft. Auch wenn der erhebliche politische Druck, unter dem die Bundesregierung nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 und den in Folge offenkundig gewordenen Versäumnissen der Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang manifest ist, ist die Novellierung eines Gesetzes über die Konstituierung einer anerkannten Religionsgesellschaft im direkten Kontext der präsentierten Maßnahmen zur Terrorbekämpfung und als gemeinsame Gesetzgebung mit dem neu geschaffenen Straftatbestand gegen “religiös motivierte extremistische Verbindungen“ unsachgemäß. Das Vorhaben konterkariert grundsätzlich den Ursprungsgedanken des Islamgesetzes, die Beheimatung der Musliminnen und Muslime in Österreich sowie deren gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern und zeigt, dass das Islamgesetz mittlerweile nicht mehr als reines Religionsgesetz, sondern vielmehr als Sicherheitsgesetz gesehen wird.

Die Vorgehensweise lässt eine auffallende Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich erkennen und widerspricht dem Kooperationsmodell zwischen ebendiesen und dem österreichischen Staat. Ein Verzicht auf das gute Verhältnis, das den positiven Beitrag der Religionen für Staat und Gesellschaft anerkennt, ist allerdings weder aus gesellschaftlichen noch aus legistischen Gründen sinnvoll.

Die IGGÖ fordert daher eine zeitliche und kontextuale Abkoppelung der Novellierung des Islamgesetzes vom Anti-Terror-Paket sowie konsensorientierte Gespräche hinsichtlich einer Novellierung und hält in aller Deutlichkeit fest, dass die Novellierung des Islamgesetzes in dieser Form ausdrücklich gegen den Willen der IGGÖ durchgeführt würde. Die IGGÖ behält sich vor, ihre Sicht auf den Inhalt der Gesetzesnovelle in einer Stellungnahme an das österreichische Parlament zu übermitteln.

Pressespiegel

Regierung plant Anti-Terror-Paket“, 11.11.2020, ORF

Tickende Zeitbomben”: Regierung will Gefährder “wegsperren“, 11.11.2020, Kurier

Presseaussendung der IGGÖ, 12.11.2020: IGGÖ ad Maßnahmenpaket der Regierung: Falsche Prioritäten

IGGÖ-Präsident: Anti-Terror-Paket kommt zu überhastet“, 12.12.2020, Vienna

Kampf gegen Terror. IGGÖ-Präsident: “Falsche Prioritäten” der Regierung“, 12.12.2020, Die Presse 

Presseaussendung der IGGÖ, 16.12.2020: IGGÖ ad Maßnahmenpaket gegen Terror: Keine Einbindung, keine Details bekannt

Stellungnahme der IGGÖ zu den Aussagen von Bundesministerin Raab, 16.12.2020

Gemischte Reaktionen zu Anti-Terror-Paket“, 16.12.2020, ORF

Antiterrorpaket: Neuer Straftatbestand zielt auf religiöse extremistische Verbindungen ab“, 16.12.2020, Der Standard

Islamgesetz: Regierung will stark in Rechte von IGGÖ eingreifen“, 17.12.2020, ORF

Anti-Terror-Paket: Verfassungsjuristen üben Kritik“, 17.12.2020, Kleine Zeitung

Kritik an Anti-Terror-Paket“, 17.12.2020, Puls24

Verfassungsjuristen kritisieren Antiterrorpaket“, 17.12.2020, Der Standard

Antiterrorpaket: Scharfe Kritik an symbolischer Gesetzgebung“, 18.12.2020, Der Standard

Kritik am geplanten Anti-Terror-Paket“, 17.12.2020, FM4

Befürchtung von “neuer Form der Überwachung” durch Antiterrorpaket“, 30.12.2020, Der Standard

Ümit Vural: Islamgesetz wird keinen Terroranschlag verhindern!“, 03.07.2021, Die Presse

Islamgesetz: IGGÖ-Chef appelliert an Nationalrat“, 07.07.2021, ORF Online

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