Der Vorfall an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, bei dem ein muslimischer Offizier aus Bosnien den Handschlag mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner verweigerte, hat eine Debatte ausgelöst. Als Militärimam der IGGÖ sehe ich es als meine Pflicht, diesen Vorfall zu kommentieren und wesentliche Punkte klarzustellen.
Im Vorfeld führte ich ein persönliches Gespräch mit dem betreffenden Offizier, in dem ich ihm deutlich machte, dass die Verweigerung des Handschlags nicht der Haltung der IGGÖ entspricht. Respekt und Höflichkeit gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, sind zentrale Werte im Islam. In meiner Funktion als Militärimam reiche ich selbstverständlich auch der Frau Bundesministerin und anderen Frauen die Hand, um diesen Grundsatz zu unterstreichen.
Der Offizier brachte in diesem Gespräch jedoch seine eigene religiöse Interpretation zum Ausdruck und zeigte sich kritisch gegenüber meiner Haltung. Dies verdeutlicht, dass es innerhalb der islamischen Gemeinschaft verschiedene Auffassungen gibt. Da der Islam keinen blinden Gehorsam gegenüber religiösen Autoritäten kennt, sah sich der Offizier nicht verpflichtet, meiner Meinung zu folgen.
Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir in Österreich in einem Land leben, das die Freiheit der kollektiven als auch individuellen Religionsausübung schützt. Diese Rechte sind zentrale Elemente unserer Verfassung und garantieren jedem Menschen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Diese Freiheiten dürfen jedoch nicht im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien von Respekt und Gleichberechtigung stehen, die ebenfalls tragende Säulen unserer Gesellschaft sind. Zudem handelte es sich bei dem verweigerten Handschlag um einen obligatorischen Teil einer militärischen Zeremonie, der den Respekt und die Anerkennung gegenüber der Vorgesetztenperson ausdrückt, unabhängig von religiösen oder kulturellen Überzeugungen.
Der betreffende Offizier hat eine Entscheidung getroffen, die nicht der Position der IGGÖ entspricht und auch nicht die Werte widerspiegelt, die Muslime im österreichischen Bundesheer vertreten. Wir respektieren jedoch, dass es im Islam unterschiedliche Interpretationen gibt. Entscheidend ist, dass diese Unterschiede nicht zur Ablehnung grundlegenden menschlichen Respekts führen dürfen.
Ich möchte diesen Vorfall zum Anlass nehmen, um die Bedeutung von Dialog und gegenseitigem Verständnis zwischen den Religionen und der Gesellschaft hervorzuheben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Brücken des Verständnisses zu bauen und uns in einer vielfältigen Gesellschaft für den Respekt vor allen Menschen einzusetzen – unabhängig von ihrer Religion, ihrem Geschlecht oder ihrer Herkunft. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch ausdrücklich bei meinen Kollegen der anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften für die hervorragende Zusammenarbeit in den Streitkräften bedanken.
Kenan Čorbić
Militärimam der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich